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Von der Einsamkeit und dem Alleinsein

Ich trinke meinen Morgenkaffee, lausche dem Meeresrauschen und beobachte, wie die dichte Wolkendecke langsam aufreisst und Fetzen blauen Himmels zeigt. Um mich herum erwacht der Campingplatz zum Leben.

 

Lass mich diese Reise-Erinnerung mit dir teilen …

 

Im August ist mein Roadtrip gestartet: Ab Edinburgh habe ich gleich etliche Kilometer gefressen, um die erste Nacht an der Küste östlich von Inverness zu verbringen. Am folgenden Tag bin ich auf die North Coast 500 gefahren, die ich nun zu einem grossen Teil abspule. Begonnen habe ich mit der Mermaid of the North – eine wunderschöne Meerjungfrau, die einsam am Strand von Balintore auf einem Felsen sitzt.

 

Doch es zieht mich auf die Strasse – immer nördlicher, mit einem Zwischenstopp beim wunderschönen Dunrobin Castle and Gardens (absolute Reiseempfehlung! Gleich bei der Öffnung um 10 Uhr dort zu sein lohnt sich). Die Ostküste besteht aus etlichen pittoresken Fischerdörfern, die in früheren Jahren durch Heringe zu Reichtum gelangt sind.

jaw dropping-Momente

Es ist eine wunderschöne Strecke, die sich der Küste entlangschlängelt – steile Klippen, sattgrüne Wiesen mit Kühen und Schafen und glitzerndes Meer unter dem typischen Sonne-Wolken-Mix. Absolute jaw dropping-Momente für mich – ich kann meinen Mund vor lauter Staunen kaum mehr schliessen. Wer jetzt aber denkt, dass sich der Verkehr gemütlich nach Norden bewegt, irrt sich. Mit mindestens 90 Sachen brettere ich über die oft holprige Piste und bin dabei keineswegs die Schnellste. Mein kleiner VW Polo GTI geniesst die frechen Kurven und das steile Auf und Ab der Strasse. Auch ich jauchze innerlich – und ja, ich fahre vorsichtig, kenne meine Grenzen und bin auf die Strasse konzentriert. Um die Landschaft zu geniessen, gibt es alle paar Meilen kleine Parkmöglichkeiten.

 

Mein Ziel ist John o’Groats am nordöstlichsten Zipfel des Festlandes. Dort gönne ich mir ein paar Nächte auf dem Campingplatz und plane einen Trip auf die Orkney Islands. Am ersten Abend stehe ich nun da, sitze auf der Luftmatratze in meinem offenen Kofferraum und blicke aufs Meer.

 

Der Wettergott ist gnädig und beleuchtet Wellen und Wiesen. Ich werde mich wohl nie satt sehen am Farbspiel in Schottland. Unzählige Nuancen an Grüntönen und das Licht – ein endloses Kaleidoskop an Schattierungen, Bewegungen, neuen Zusammensetzungen. Mit Worten ist es nicht zu erfassen, man darf es erlebt haben …

Allein oder einsam?

Neben mir taucht ein Fahrradfahrer auf: ein Mann mittleren Alters mit wettergegerbtem Gesicht und einem beladenen Fahrrad. Eine Melancholie geht von ihm aus, als er sein Fahrrad auf dem Rasen parkiert und für eine lange Zeit einfach nur aufs Meer schaut. Er muss sich wohl beobachtet gefühlt haben. «Dies ist meine letzte Station», meint er in meine Richtung. Er sei innerhalb eines Monats vom Süden Englands bis in den Norden Schottlands gefahren. Alles mit dem Fahrrad! Ich bin gelinde gesagt beeindruckt und offeriere ihm einen wee dram –  einen kleinen Schluck – um auf das Ende seiner Reise anzustossen.

 

Er wisse noch nicht, wie er den Weg in den Alltag wieder finde. Ich kann ihn verstehen. Selbst oft allein auf Reisen kenne ich die Ruhe und Weite, die sich auftun. Ein Alleinsein unter anderen Menschen, das manchmal zur Einsamkeit wird. «Loneliness is a state of mind», sagt er, und ich gebe ihm recht. Es ist eine schmale Grenze zwischen dem Sein mit mir, dem Geniessen der Zeit und Stille nur für mich und dem Gefühl der Einsamkeit. Und sie beginnt im Kopf. Sie zeigt mir, wo in mir selbst eine Leere herrscht und wo ich noch der Illusion von Trennung unterliege.

Wir nippen an unserem Whisky, ganz in der Stille und betrachten die Weite des Meeres – gemeinsam allein.

 

Herzlichst, Nadine

 

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Kommentare: 4
  • #1

    MarcSchätzi (Freitag, 09 September 2022 22:50)

    Liebs NadineSchätzi, ich Danke Dir fürs teile vo Dine Gedanke, Erfahrige und Insperatione! Dini Blogs lesed sich so liecht und bringed mich zum nahdänke und animiered zum‘s nahmache! Sie mached Muet und bringed Erkenntnis! So es Gschenk und e riese Bericherig i mim Prozess!
    Danke vo Herze, dis MarcSchätzi

  • #2

    Nadine (Samstag, 10 September 2022 09:48)

    Awww, danke vo Herze für dini schöne und wertschätzende Wort, liebs MarcSchätzi - und stille Reisebegleiter ;-)

  • #3

    BÄRBEL (Mittwoch, 14 September 2022 10:32)

    Hallo Nadine,
    Vielen Dank,für das teilen deiner Eindrücken.
    Du beschreibst sehr schön die gefühlten Momente.Ich habe beim Lesen das Gefühl selbst ins weite Meer zu blicken,die Stille die Weite zu spüren.
    Befinde mich gerade selbst in einer Auszeit vom Alltag.
    Allerdings al Inklsive.
    (Wellnes)
    Doch die Ruhe in meinem Zimmer,die Zeit für mich alleine lässt klare Gedanken zu.
    Ich spüre wie neue Lebensenergie einkehrt.
    Der Vorsatz dies regelmäßig einzuplanen lässt hoffen.
    Liebe Nadine,dir weiterhin alles Gute.
    LIEBE Grüße Bärbel

  • #4

    Nadine (Mittwoch, 14 September 2022 18:02)

    Liebe Bärbel, herzlichen Dank für deine lieben Worte!
    Wellness, Stille und Klarheit hören sich auch ganz WUNDERvoll an - geniess die Momente für dich!
    Alles LIEBE für dich! Herzlichst, Nadine